Gastbeitrag: Gedanken zum Nationalismus in Italien

Als Ausländerin, die einige Jahre in Deutschland gelebt hat, war ich immer wieder von der krampfartige Beziehung der Deutschen mit ihrem Nationalstolz erstaunt. Das Thema schien mir ein absolutes Tabu, das allerdings während wichtiger Sportveranstaltungen oder der Wirtschaftskrise aufgehoben wurde, obwohl dieser Prozess von einem latentem Schuldgefühl immer begleitet wurde.
Was von einigen als Minderwertigkeitskomplex bezeichnet wird, ist m.E. eine verständliche Folge der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Dekonstruktion von Begriffe wie Nation oder Heimat ist in Deutschland offensichtlich versucht worden, aber was passiert woanders?
Als Italienerin werde ich versuchen, eine Skizze der ebenfalls komplizierten Beziehung meiner Landsleute und ihrem Patriotismus zu zeichnen. Ein vollständiger Diskurs über Identität und Selbstwahrnehmung überschreitet die Grenze dieses Aufsatzes; es ist jedoch wichtig das Verhältnis der Italiener zu ihrem Staat zu verstehen.
Viele behaupten, eine wirkliche Vereinigung sei in Italien immer gescheitert, und die Unterschiede zwischen den seit Jahrhunderten getrennten kleinen Staaten der Halbinsel tauchten immer wieder auf. Allerdings existiert auch eine gewisse Rhetorik die an einer kulturellen Einheitlichkeit vor der politischen Einheit festhält. Wir lernen im Endeffekt in der Schule, dass ein wichtiger Autor wie Dante schon im Mittelalter von einem einheitlichen italienischen Staat träumte, ohne allerdings so genau zu hinterfragen, welche Grenze dieser haben sollte und vor allem wer daran regieren sollte – nämlich der römisch-deutsche Kaiser Heinrich VII. Garibaldi wird außerdem heute als Held wahrgenommen, obwohl seine Armee für die Interessen einer Monarchie – das Haus Savoyen – gegen einer anderen, die Bourbon, die in Süditalien herrschte, kämpfte.
Wie überall sind solche Mythen notwendig, um die Kohäsion der Bevölkerung zu erreichen und ein identitäres Modell zu schaffen. Selbstverständlich sind sie Konstruktionen, die mit der Zeit und je nach Gelegenheit adaptiert werden können. So setzte sich z.B. die rechts-populistische Partei Lega Nord am Anfang seiner politischen Parabel die Trennung Norditaliens von der Halbinsel als Ziel. Als sie aber in Berlusconis zweite Regierung eintrat, wurden die anti-italienischen Akzente gemildert und die Ausländer ersetzten die Süditaliener als Hauptgegner in der Propaganda der Partei.
Ein allgemeines Gefühl der Zugehörigkeit manifestieren die Italiener allerdings erst bei Fußballveranstaltungen. Trotzdem behalten sie auch in solche Gelegenheiten, eine generelle Tendenz, hyperkritisch dem eigenen Land gegenüber zu sein. Vielleicht ist es aber diese Neigung zur Kritik und vor allem zur Selbstsatire, die wirklich alle in Italien teilen, die das markanteste Merkmal des Verhältnisses der Italiener zum eigenen Land und der entsprechenden Rhetorik darstellt.

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