Migration als Widerstand

“We didn’t cross the border, the border crossed us.”

Die Grenzen von Nationalstaaten sind noch ein wesentliches Element zur Organisation der Welt. Zumindest in den Kulturkreisen des Westens und der dazugehoerigen Theorieproduktion sind wenig alternative Konzepte im Umlauf. Zumindest wenn man vermeidet ueber den Tellerrand hinauszusehen, hat das Konzept also ueberzeugt. In anderen Gegender der Erde, und in verschiedenen Laendern des globalen Suedens wird hingegen, noch immer mit den Folgen der kolonialen Grenzziehung faktisch gekaempft, nicht nur um die Deutungshoheit sondern ganz real unter Einsatz von Waffengewalt.

Ein Grund dafuer ist, dass diese Grenzziehungen bis heute nicht mit den Lebensrealitaeten der Bevoelkerung zu tun haben (muessen). Die Grenzziehung allein ist eine unzureichende Motivation zur Entwicklung einer nationalen Identitaet, die den Nationalstaat als solchen stuetzen und legitimieren kann. Als aktuelles Beispiel kann die kuerzlich erfolgte Abspaltung des Sued- Sudans vom Sudan herangezogen werden.

Andere Schwierigkeiten ergeben sich aus den, ueberall auf der Welt zu findenden nomadisch oder halbnomadisch lebenden Gruppierungen, die seit den Grenzziehungen stark in ihren tradierten Lebensgewohnheiten eingeschraenkt sind. Das soll nur als Beispiel gelten. Ueber die Jahrhunderte fand in allen Gesellschaften Migration statt, was in Europa, dass auch von der so genannten Voelkerwanderung gepraegt wurde hinlaenglich bekannt ist.

Mit den Grenzziehungen die aus der Etablierung der Nationalstaaten erfolgte wurde die Sesshaftigkeit zur Normalitaet und die Migration zu einem „un-normalen“Phaenomen, das fortan konsequent reguliert und im Zweifel strikt sanktioniert wird.

Das bedeutet, dass ein uebliches Ereignis, also das Verlassen einer temporaeren Heimat, aufgrund von Verfolgung, auf der Suche nach besseren Lebensgrundlagen, alleine oder in Gruppen ein legaler Rahmen zugewiesen wurde, mit dem es moeglich ist bestimmte Formen der Migration als „legal“ oder „illegal“zu beschreiben und entsprechende drastische Folgen zu legitimieren.

Trotz alledem kann die Grenzziehung und auch die scharfe Bewachung der Grenzraeume nur unzureichend dazu beitragen, die Migration dauerhaft zu regulieren. Sie scheint als Faktum in das menschliche Leben eingeschrieben zu sein. Die politische Grenzziehung ist dabei allenfalls ein neues Hindernis auf dem Migrationsweg, das ueberwunden werden muss, und zwar immer mit dem Ziel bessere Lebensbedingungen fuer sich und die eigene Gruppe zu finden.

Im heutigen Diskurs wird eine solche Migration gerne als Wirtschaftsflucht und damit als „illegal“ bezeichnet und damit diffamiert. Die Legitimation erhaelt diese Zuschreibung mit dem Verweis auf auf den Schutz der eigenen nationalen Oekoniomie, z.B. des Wirtschaftsraumes Deutschlands oder Europas.

„Wir koennen nicht alle aufnehmen“, heisst es dann, mal mehr oder weniger elaboriert. Als pragmatisch wird dann schon wahrgenommen eine Qoutenregelung fuer Auslaender_innen einzufuehren, die dem deutschen oder europaeischen Wirtschaftsraum nuetzen koennen, als Fachkraefte oder haeufiger als billige Arbeitskraefte fuer unliebsame und schlecht bezahlte Taetigkeiten.

Hier treten die Widersprueche im Diksurs um Fluchtmigration deutlich zu Tage. Waehrend sich die ehemals nationalen Oekonomien globalisieren, also internationale Wirkung entfalten, mit haeufig drastischen, negativen Folgen fuer die Laender des globalen Suedens und aeusserst positiven Folgen fuer die Industrielaender des Westens, wird die Verantwortung fuer die Situation in den Herkunftslaendern der Fluechtlinge einzig den Herkunftslaendern selbst zugeschrieben.

Hier dienen die Grenzen dann wieder tatsaechlich als Abgrenzung von Nationalstaaten um Verantwortung fuer wirtschaftliche Not eindeutig zuschreiben zu koennen, anstatt die Wirkungen einer globalen Oekonomie auch global zu loesen.

Wirtschaftsmigration kann deshalb auch anders interpretiert erden. Sie ist naemlich kein Akt von zufaellig in Not geratenen Opfern, sondern vielmehr Ausdruck widerstaendischen Handelns gegen eine globale Arbeitsteilung, die die Laender des Suedens nutzt um deren Menschen und Rohstoffe auszubeuten und die Grenzen dafuer braucht die Ausbeutungsverhaeltnisse zu stabilisieren und zu verhindern, dass die Ausgebeuteten den Versuch starten die Pfruende neu zu verteilen.

Wirtschaftsmigration ist aber der Versuch diese Arbeitsteilung zu ueberwinden und am selbst erarbeiteten Wohlstand der Welt zu partizpieren.

 

 

Zum weiterlesen:

Behr, Dieter Alexander (2014) “We didn’t cross the border, the border crossed us.” In. Bierdel, Elias; Lakitsch, Maximilian (Hrsg.) Flucht und Migration. Von Grenzen, Aengsten und Zukunftsschancen. Lit Verlag, Wien und Berlin. Seiten 27-35

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