Des Rassismus neue Kleider – „Aber er hat ja nichts an!“

Seit 2002 gibt die Universität Leipzig alle zwei Jahre eine repräsentative Studie zur rechtsextremen Einstellung in Deutschland heraus. Vor zwei Wochen erschien die aktuelle Studie, die zu dem Ergebnis kommt: Der Anteil der Menschen mit geschlossenem rechtsextremen Weltbild ist in ganz Deutschland zurückgegangen, von 9,7% im Jahr 2002 auf 5,6% im Jahr 2014. Was sind das nicht für erfreuliche Nachrichten!?

Allerdings erfahren diese mit genauerem Blick auf die Ergebnisse der Studie schnell eine Trübung. Denn es richten sich weiterhin massive rassistisch motivierte Aggressionen und Ressentiments gegen Ausländer*innen und Menschen, die zu einem großen Teil schon seit Jahrhunderten deutsche Staatsbürger*innen sind!

Was Ausländer*innen betrifft, wird laut Studie von den Befragten ein Unterschied zwischen den „guten“ Ausländer*innen und den „schlechten“ Ausländer*innen gemacht. Die „Guten“, dass sind demnach jene, die mit der eigenen Gruppe identifiziert werden, einen „Mehrwert erbringen“ und einen „Beitrag leisten“, natürlich vorwiegend einen marktwirtschaftlichen. Das kann ja schon im Vorwort des aktuellen Migrationsberichtes von Dr. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, nachgelesen werden. Dort heißt es: „Deutschland ist ein weltoffenes Land“. Allerdings nur „mit Blick auf die Diskussion um den demografischen Wandel und die Gewinnung von ausländischen Fachkräften“.

Ja,ja, grenzenlose Weltoffenheit für Wirtschaftswachstum… Zuwander*innen und auch deutsche Staatsbürger*innen, die Geld und Wohlstand in ‚unser‘ Land bringen, sind scheinbar (!) willkommen und haben nur wenig zu befürchten. Das zeigt ja schon der Rückgang rechtsextremer Einstellungen ihnen gegenüber (?).

So einfach ist die gesellschaftliche Realität jedoch lange nicht.

Denn es gibt ja auch noch die Zuwander*innen und deutschen Staatsbürger*innen, die vermeintlich die Stärke des nationalen Selbst-Objekts bedrohen und den Sozialstaat „ausnutzen“. Gegen sie richtet sich verstärkt Rassismus in seinem neuen Gewand der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und zwar stärker und akzeptierter als je zuvor.

Die deutliche Zunahme der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zeigt sich in der Studie besonders erschreckend gegenüber den Bevölkerungsgruppen der Sinti und Roma. Etwa 56% der Befragten gibt an, ein Problem damit zu haben, wenn sich Sinti und Roma in „ihrer“ Gegend aufhielten und schreiben „ihnen“ Kriminalität zu. Fast 50% sprechen sich dafür aus, dass „sie“ aus Innenstädten verbannt werden sollten. Fast niemand der Befragten ist je einem Menschen dieser Bevölkerungsgruppen begegnet!

Die Antworten begründen sich in stereotypen und vorurteilenden Denkmustern und diskriminierenden Handlungsweisen, die besonders im Zuge der verzerrten öffentlichen Debatte um „Armutsmigration“ und die Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit bulgarischer und rumänischer Staatsangehöriger seit 2013 massiv geschürt werden. Die „Nachbarschaftsfrage“ wurde im Übrigen auch in Rumänien mit Ablehnungsraten von 75% beantwortet und sollte als einer der wirklichen Migrationsgründe vielleicht einmal näher ins Auge gefasst werden.

Im Zuge dieser Debatte wiederholt sich eine lange Geschichte von Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung, die im Nationalsozialismus ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Auf der Grundlage rassistischer Motive und der 1935 eingeführten Nürnberger Rassegesetze wurden schätzungsweise über 500.000 als „Zigeuner“ stigmatisierte Sinti, Roma und Zugehöriger anderer Bevölkerungsgruppen in Konzentrationslagern ermordet. Nach 1945 wurde die Verfolgung von Sinti, Roma und anderen Bevölkerungsgruppen lange Zeit von der Mehrheitsgesellschaft verdrängt und auch staatliche Entschädigungen gingen an ihnen vorbei (Was im Übrigen daran lag, dass die Prüfung der Anträge auf Entschädigung vorwiegend von vormaligen NS-Beamten vorgenommen wurde, die die Verfolgung auch nach 1945 mit der „asozialen und kriminiellen Haltung“ der Angehörigen der Antragssteller*innen legitimierten. Die in der NS-Zeit etablierten Vorurteile überdauern so bis heute). Es dauerte 35 Jahre bis die nationalsozialistischen Verbrechen von der Bundesregierung als Völkermord anerkannt wurden.

Noch heute sind Sinti und Roma von gesellschaftlichen Ausschlussprozessen betroffen. Sie werden in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens diskriminiert, obwohl die meisten der Betroffenen schon seit mehr als 600 Jahren als Staatsbürger*innen in Deutschland leben.

So wird Sinti und Roma laut einer von der OSZE in Auftrag gegebene Studie eine gleichberechtigte politische Partizipation verunmöglicht, ihre Minderheitenzugehörigkeit wird für Kontrollzwecke bei Behörden aufgenommen und ihnen werden gleichberechtigte Bildungschancen und Wohnmöglichkeiten verweigert. Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit ihnen gegenüber sind alltägliche Realitäten vieler Sinti und Roma und speisen sich teilweise noch immer aus den Bildern der Nürnberger Rassengesetze.

Die europaweite Realisierung der desolaten Lebenssituation führte zum Ausruf der Dekade zur Inklusion der Roma (als homogen konstruierte Bevölkerungsgruppe wohlbemerkt) von 2005 bis 2015. Allerdings wurde auch hier mehr über als mit Menschen gesprochen. Roma und Sinti Selbstorganisationen wurden weitgehend von der Gestaltungspartizipation der Dekade ausgeschlossen. Schnell wurde so aus Inklusion ein EU-Rahmen zur Integration von Roma. Aus einem Prozess gleichberechtigter, selbstbestimmter, gesellschaftlicher Teilhabe wurde ein Konzept zur strategischen Assimilation.

Die CDU-Politikerin Erika Steinbach zeigte sich aber schon 2011 optimistisch. Für sie gibt es für Sinti und Roma (auch für sie EINE Volksgruppe) keine staatliche Diskriminierung und Ausgrenzung. Nur wenige Sätze später schreibt sie (als Ministerin eben jenes Staatensystems !) „den“ Roma und Sinti allerdings pauschal zu, sie würden ihre Kinder vom Schulbesuch abhalten, ihre Frauen verprügeln und ihre Töchter zwangsverheiraten. Ob Frau Steinbach sich da nicht auch ein neues Gewand übergezogen hat und dabei gar nicht mehr merkt, was sie trägt und dass sie althergebrachte Denk-und Handlungsmuster mit solchen unreflektierten Aussagen neu befeuert? Vielleicht fehlt hier das unschuldige Kind der Gesellschaft, das auf solche Aussagen deutet und sagt: „Aber der Rassismus hat ja nichts an!“ – er ist offensichtlich noch da.

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